Walter Lehmkühler über die Branche und Zukunft. © BPJ
Einblicke von einem, der es wissen muss. Unternehmensberater Walter Lehmkühler blickt mit uns im Interview zurück auf das Jahr 2023 und gibt Ausblick für 2024. Ein Gespräch über die Herausforderungen und Realitäten des Fachhandels und die große Frage: Was ist machbar?
BLICKPUNKT JUWELIER (BPJ): Herr Lehmkühler, seien Sie direkt: Wie steht es aktuell in der Branche?
WALTER LEHMKÜHLER: Wir erleben aktuell, dass Räumungsverkäufe aktuell tatsächlich noch sehr gut funktionieren – auch in den Artikelgruppen, in denen nicht markenaffin gekauft wird und wo wir insgesamt allgemein deutlich höhere Umsatzrückgänge verzeichnen. Aber auch bei den großen Marken im Uhrenbereich sind die Bestellungen nicht mehr ganz so umfangreich, wie es früher einmal der Fall war.
Wenn wir uns als Unternehmensberatung einen Betrieb anschauen, müssen wir uns die Frage stellen: Welche Möglichkeiten gibt es? Denn viele Konzepte haben keine Chance mehr. So geht es etwa Juwelieren, die sich noch eigenständig im Trendbereich behaupten wollen.
BPJ: Das klingt düster. War 2023 ein besonderer Ausreißer in puncto Schließungen und Neueröffnungen?
LEHMKÜHLER: Das Verhältnis von Schließungen zu Neuausrichtungen liegt bei unseren Anfragen etwa bei 80 zu 20. Das bedeutet, etwa 80 Prozent der Fachhändler entscheiden sich, ihre Geschäfte nicht weiterzuführen. Walter Lehmkühler steht dafür, machbare Konzepte am Markt durchzusetzen – Konzepte, die eine Chance haben, aber im Vorfeld auch sorgfältig durchgeplant sind. Gefühlt wird es mit den Schließungen auch 2024 so weitergehen wie im Vorjahr.
BPJ: In Deutschland sind einige Regionen bereits jetzt stark unterbesetzt. Verödet dort die Landschaft im Fachhandel?
LEHMKÜHLER: Das ist ein schwieriges Thema, denn ich identifiziere mich selbst sehr mit dem Handwerk, schließlich bin ich selbst gelernter Goldschmied und auch Diamantgutachter. Wir bräuchten eigentlich viel mehr Fachkompetenz, Engagement bei Ausbildungen, Initiativen von Uhrmachern, aber auch von Fachverkäufern. Was Sie aktuell am Markt vorfinden, ist einfach nur gruselig!
BPJ: Der Nachholbedarf liegt also auch bei den Schulungen.
LEHMKÜHLER: Unter anderem, ja. Und Schulungen für den strategischen Verkauf bieten wir auch selbst an. Hier lernen die Teilnehmer auch die Grundlagen bei der Einwandbehandlung oder Rabattbehandlung.
Auch die Schulung der Mitarbeiter kostet natürlich Geld, doch viele Juweliere scheuen sich nach wie vor, dieses Geld auszugeben. Und das, obwohl es viele Beispiele von Juwelieren gibt, die dadurch ihren Umsatz deutlich steigern konnten. All das ist möglich, wenn man seine Mitarbeiter abholt und die Verkaufsmechanismen versteht. Und es schadet auch nicht, die eigene Einstellung beim Verkauf zu hinterfragen.
Was Sie aktuell am Markt vorfinden, ist einfach nur gruselig!
BPJ: Wie stehen Sie zum Thema Sortiment? Viele Fachhändler grenzen sich leider kaum voneinander ab und führen dasselbe Angebot wie die Kollegen in der Umgebung …
LEHMKÜHLER: Wenn man sich spezialisieren will, muss man auch individuelle, neue Wege gehen. Der Schmuckbereich ist die Zukunft des Juweliers. Wenn man engagierte Schmuckkonzepte neu auflegt und etwa eine eigene Kollektion führt, dann gibt es auch etwas, für das man als Juwelier steht. Gefühlt sehen 90 Prozent aller Schaufenster in Deutschland gleich aus. Individualisierung ist eine Grundlage für weiteren Erfolg. Überall, wo das berücksichtigt wird, funktioniert es auch gut.
BPJ: Wo lohnt sich Ihrer Meinung nach die Spezialisierung für die Fachhändler am meisten?
LEHMKÜHLER: Was sich wirklich lohnt, sind Individualität, Eigenanfertigungen, sofern man die Möglichkeit hat – entweder über einen Goldschmied oder die Marke selbst – und Kunden-Events. Wenn Sie als Fachhändler Ihre Kundengruppen gut selektieren, können Sie sie gezielt auf ein spezielles Event ansprechen, zum Beispiel im Farbedelstein-Bereich. Mit solchen Initiativen generieren Sie mit der Zeit echte Fans, die am Ende nicht nur ein Schmuckstück, sondern mehrere kaufen.
Aber auch bei sowas müssen Sie sich natürlich Mühe geben. Sie müssen sich zertifizieren. Es gibt ja schließlich auch Goldschmiedekurse und es muss nicht gleich jeder ein Goldschmiedemeister werden. Es schadet auch nicht, Diamantgutachter zu werden. Und es zählt am Ende natürlich auch der Service-Gedanke. Wer ins stationäre Geschäft kommt, der möchte vernünftig versorgt werden. Kein Mensch will lange auf eine Reparatur oder Schmuckanfertigung warten.
BPJ: Kernbotschaft: Wer sich fit für die Zukunft machen will, muss also Geld in die Hand nehmen?
LEHMKÜHLER: So ist es. Es gibt Juweliere, die scheuen sich zu investieren. Doch wenn Sie nicht investieren, können Sie auch nicht besser werden. Das gilt für viele Bereiche. Wenn Sie sich beispielsweise digitalisieren wollen, entstehen dabei gewisse Kosten. Auch hier sollte man sich überlegen, was ist effizient für mich, denn auch auf Social Media muss ich mit Kunden interagieren und die Persönlichkeit in den Vordergrund stellen. Persönlichkeit ist letztendlich das größte Gut, das der Juwelier besitzt und damit auch die größte Chance, die er hat.
BPJ: Persönlichkeit zeigt man als Fachhändler ja alleine schon mit dem Geschäft, das der Kunde betritt. Was sagen Sie zum Thema Ladenbau?
LEHMKÜHLER: Wenn sich ein Umbau nicht innerhalb von zehn Jahren rechnet, dann macht er keinen Sinn, denn nach dieser Zeit muss man sich möglicherweise schon wieder erneuern. Es ist ein ständiger Prozess. Aber eine Neuausrichtung muss nicht immer komplett teuer sein. Es gibt auch günstigere Wege.
Wichtig ist, dass man sich vorher überlegt, welche Möglichkeiten zur Situation passen. Wir haben uns mittlerweile abgekoppelt vom Ladenbau, arbeiten eigene Visualisierungen aus und suchen uns anschließend geeignete Partner zur Umsetzung. So bestimmen wir den Weg mit dem Kunden gemeinsam, um ein Paket garantieren zu können, dass zu seinem Budget passt. Das ist gleichzeitig ein Weg, der Kunden davor schützt, sich finanziell zu übernehmen. Wir holen die Angebote selbst ein und kommen damit zu einer effizienten Lösung.
Wir haben zum Beispiel die Möglichkeit, neue Oberflächen zu gestalten, anstatt die Möbel komplett auszutauschen oder bereits vorhandene Flächen des Ladens zu nutzen. Auch hier geht es wieder um machbare Konzepte. Denn eine Ladeneinrichtung ist letztendlich auch das, was ein normaler Juwelier am schwersten stemmen kann.
Der Schmuckbereich ist die Zukunft des Juweliers!
BPJ: Wo sehen Sie bei den Fachhändlern den größten Hebel, wenn man sich entschieden hat, die Neuausrichtung anzugehen?
LEHMKÜHLER: Sie brauchen ein gutes Sortiment, denn, wenn Ihr Produkt nicht stimmt, dann läuft es auch nicht im Verkauf.
Man sollte außerdem darauf achten, eine gewisse „Lounge-Atmosphäre“ in seinem Geschäft herzustellen, in der sich die Kundschaft wohlfühlt. Die alten Ladenkonzepte haben definitiv ausgedient. Und es macht Sinn, sein eigenes, kleines Social-Media-Marketing zu betreiben, mit einer Person, die eigens dafür zuständig ist. Es gibt einfach gewisse Dinge, die man als Fachhändler leisten muss, denn über die Tageszeitung erreichen Sie Ihre Kunden heutzutage nicht mehr.
BPJ: Welche Erwartungen haben Sie aus unternehmerischer Sicht für die Jahre 2024 und 2025?
LEHMKÜHLER: Ich sehe deutliche Gewitterwolken am Horizont. Viele weitere Juweliere werden schließen müssen, weil eine Neuausrichtung für sie schlichtweg keinen Sinn mehr macht.
Die Digitalisierung wäre sicherlich sehr wichtig und in Wahrheit lassen sich stationär und online gut miteinander verbinden, doch viele Juweliere können den Arbeitsaufwand in ihrem Arbeitsalltag nicht leisten und den Schritt kostentechnisch nicht stemmen.
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