Weko-Chef Patrik Ducrey versteht die Aufregung nicht. Warum haben kleinere Uhrenhersteller nicht für den Fall vorgesorgt, der nun eintrifft? Die Weko hätte mehrmals darauf hingewiesen, dass die ETA ab 2020 nicht mehr liefern wird.
Die Weko hatte gewarnt. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters hat sich Weko-Chef Patrik Ducrey überrascht gezeigt, warum die Wellen um die Lieferung von ETA-Uhrwerken an Drittfirmen so hoch schlagen (hier). „ETA-Kunden mussten sich seit 2013 darauf vorbereiten, dass ETA ab Januar 2020 keine mechanischen Uhrwerke mehr liefern wird“, so Ducrey. „Das Weko-Sekretariat hat die Kunden wiederholt auf diese Tatsache aufmerksam gemacht.“ Doch seit Dezember, seit die Weko ihre Entscheidung um das Ende des „Lieferzwangs“ um ein halbes Jahr nach hinten geschoben hat, sind vor allem die kleineren Uhrenhersteller in Aufregung. Kann es sein, so wie Swatch-Group-Chef Nick Hayek mehrfach sagte, dass es überhaupt gar keine Uhrwerke gibt, die die ETA den Drittfirmen 2020 liefern sollte? Stimmt es, dass die Produktion dieser Werke gar nicht angelaufen ist, weil die ETA davon ausgegangen war, nicht liefern zu müssen und deswegen keine Bestellungen angenommen hat? Chopard zumindest hat bereits auf dieses Problem reagiert und angekündigt, einige Messeneuheiten auf der Baselworld 2020 nicht wie geplant zu zeigen, eben weil sie auf ETA-Werken basieren, die es – wie sich nun herausstellen könnte – vielleicht gar nicht gibt.
Die derzeitige Situation im Streit zwischen der Weko und Swatch ist unüberschaubar. Dabei kennen sich die beiden Parteien genau. 2009 hatte Nicolas Hayek sen. erstmals angekündigt, nicht mehr alle Firmen mit ETA-Werken beliefern zu wollen. Seitdem ist die Weko im Thema. Seitdem betrachtet sie das Geschehen von allen Seiten. Im Gespräch mit Reuters stellt Ducrey die provokante Frage, ob es überhaupt Engpässe geben würde. Ducrey: „Es gibt auch einen grauen Markt und Marken haben Lagerbestände aufgebaut.“ Er sei sich nicht so sicher, ob es einen Mangel an Uhrwerken geben wird.
Möglich wäre auch, dass die Swatch Group den aktuellen Umstand nutzt, um den Mitbewerb auszubremsen. Zwar sieht Hayek seinen Mitbewerber Sellita als Marktführer im Bereich der Unternehmen, die Werke an Drittfirmen verkaufen (hier). Doch ist die ETA das weitaus größere Unternehmen und produziert schätzungsweise jährlich 6 Millionen mechanische Uhrwerke, von denen 5,5 Millionen an die eigenen 18 Marken gehen und 500.000 an Drittmarken verkauft werden. Würde die ETA ihre Produktion umschichten, könnte sie Sellita mit wahrscheinlich 1,2 Mio. verkauften Uhrwerken locker überholen und doch „heimlicher“ Marktführer sein. Dieses Szenario wird die Wettbewerbsbehörde durchdacht haben, als sie im Dezember 2019 sehr kurzfristig ihre Entscheidung für 2020 bekannt gegeben hatte.
Die Wettbewerbshüter haben sicherlich auch die Situation von Sellita im Auge. Sellita hat sich in den vergangenen Jahren weniger mit eigenen Entwicklungen hervorgetan, stattdessen auf die Nachahmung der ETA-Bestseller ETA 2824 und 2892 konzentriert. Ein echter, gesunder, stimulierender Mitbewerb gibt es nicht zwischen ihr und der sechs mal größeren ETA, die auch noch Teil des 9 Mrd-Franken-Unternehmens Swatch-Group ist. Zudem hängt Sellita am Tropf der ETA, beispielsweise bei einzelnen Werkteilen wie Spiralfedern, die stark von der Swatch Group-Tochter Nivarox dominiert wird, oder auch bei den Rohwerken (Ebauches), die von Veredlern wie Sellita zu fertigen Uhrwerken montiert werden.
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