Jeder will seinen Teil des Königreichs: Helene, Bernard und Delphine Arnault (v.l.n.r.). Es fehlen im Bild Antoine, Jean, Frédéric und Alexandre Arnault.
Es scheint ein modernes Luxus-Märchen zu sein, an dessen Spitze Bernard Arnault als König steht. Doch was ist mit Arnaults „Untertanen“, um im Wortlaut zu bleiben. Was also ist mit den Einzelhändlern, die nach und nach auf die begehrten Marken verzichten müssen?
Er ist der reichste Mann der Welt – das Vermögen von LVMH-Vorstandsvorsitzenden und -CEO Bernard Arnault beträgt rund 203 Milliarden Dollar (195 Milliarden Euro). Der Marktwert des LVMH-Konzerns beläuft sich gar auf rund 455 Milliarden Euro. Und damit überholt Arnault Jeff Bezos und Elon Musk um Längen. Er ist der unumstrittene Luxus-König – und wie es sich für einen König gehört, bereitet er seinen Kindern den Weg in seine Nachfolge. Insgesamt hat er fünf Kinder aus zwei Ehen. Und allen Prinzen – und seiner Prinzessin – ebnet er den Weg ins Luxus-Business. Tochter Delphine (47) ist gerade im Februar erst zur Geschäftsführerin von Christian Dior ernannt worden. Antoine (45), der diesen Posten vor ihr besetzte, wurde zum Leiter der Familienholding. Aus zweiter Ehe stammen Alexandre (30), der Topmanager beim erst kürzlich in die Holding eingegliederte Marke Tiffany & Co. ist, Frédéric (28), der als TAG Heuer-CEO einer der jüngsten Geschäftsführer in der Branche gilt und Nesthäkchen Jean, der mit 24 Jahren bereits im Marketing und der Produktentwicklung in der Uhrensparte bei Louis Vuitton tätig ist. Der Arnault-Clan scheint also gut abgesichert.
LVMH kann Einzelhandel
Was den Luxuskonzern von einigen anderen Herstellern und Konzernen unterscheidet ist, dass viele der „anderen“ den Vertrieb an Konsumenten nicht selbst in der Hand haben – sondern diesen Weg an Fachhändler und Experten in ihren Sparten abgeben. Nicht so bei LVMH – denn der Luxuskonzern „kann“ Einzelhandel. Und hat das mehrfach unter Beweis gestellt. Die Frage, die sich viele stellen: Wie viel Fachhandel lässt der Konzern künftig noch zu? Betrachtet man Vorreiter wie Louis Vuitton, lautet die Antwort: keine. Denn der Einzelhandel der Luxusmarke wird ohne Franchise selbst betrieben und so behält sich der Konzern die Wertschöpfung von der Produktionsstätte bis zum Verbraucher in eigener Hand. Außerdem: Viele Kunden wissen bereits vor dem Betreten des Geschäfts, was sie haben wollen – und wissen auch, dass Wartelisten oft die Regel sind. Um Begierde zu erwecken, gibt es wohl nichts Besseres – als zu warten.
Blick über den Tellerrand: Der Fall Rimowa
Warum der Blick in andere Branchen aufschlussreich sein kann, zeigt der Fall Rimowa. Wie in „Blickpunkt Juwelier“ berichtet, wurde auch der deutsche Kofferhersteller von LVMH gekauft. Was danach geschah: Die Vorgehensweise mit dem Handel änderte sich rasch. Rimowa zelebrierte Erschwerniszulagen für Händler – mussten Konsumenten bei einer Online-Bestellung nur 48 Stunden auf die Zustellung warten, durften Fachhändler schon mal einige Monate ausharren. So wurde der Fachhandel dazu erzogen, große Kontingente vorzubestellen. Nicht anders verhält es sich mit vielen Marken beim Juwelier. Eigene Monobrand-Stores werden gerade im Eilzugstempo eröffnet (siehe Extrakasten). Bis dahin darf der Einzelhandel noch verkaufen – doch welche Strategie folgt als nächstes?
Beispiel I: TAG Heuer
An der Spitze der Uhrenmarke steht mit Frédéric Arnault einer der Arnault-Prinzen. Und er lässt erkennen, wo es künftig hingehen wird. Fachhändler werden seit Wochen gekündigt – auch prestigeträchtige Juweliere, die beispielsweise Rolex führen, wurden als nicht mehr „zukunftswürdig“ eingestuft. Ein anderer Fachhändler, der laut eigener Auskunft 80 Stück jährlich abgesetzt hat, wurde gekündigt. Zu wenig. TAG Heuer will nach oben, will in höhere Preislagen. Denn der Konzern weiß um den drohenden Ausfall der Mittelschicht. Will man künftig überleben, muss der Weg nach oben gehen.
Der Weg scheint beschlossen: Die Boutique soll es richten! Aktuelle Leerstände in Bestlagen, die sich Marken nie hätten träumen lassen, stehen derzeit zur Verfügung – und das in den besten Städten Europas. Der Plan: Preise schnell verdoppeln und dabei den Endkunden bis zum Kauf zu begleiten. Dabei werden Budgets freigegeben, die man früher für Messen aufwendete (Baselworld & Co.). Andererseits verzichten Marken künftig wohl auch auf Incentives, die sie ihren Retailern zukommen ließen. Einladungen zu Veranstaltungen erhalten nun also direkt die Kunden – nicht mehr der Juwelier. Im Fokus steht das Erlebnis für den Konsumenten. Und das führt am Ende zum Kauf bei der Marke selbst – idealerweise im Online-Shop oder in der eigenen Boutique. In München wird beispielsweise nach einem neuen Standort Ausschau gehalten – der aktuelle ist zu klein geworden. Groß, größer und in Folge deshalb teurer ist das Motto. B-Lagen haben ausgedient und werden von den Marken aufgelassen – alles für die bestmögliche Customer Experience. LVMH hielt noch nie viel von Franchise und so macht man alle diese Erfahrungen gerne selbst. Während Breitling unter Georges Kern auf große Juweliersnamen setzt, denen man das Personal und Immobilien-Management gerne überlässt, will LVMH diese Themen selbst bespielen. Allerdings hat man neuerdings mit Tiffany auch eine neue Verbingung zu Personal und kann dort stets Personal aufbauen – und später anderswo zum Einsatz bringen.
Beispiel II: Hublot
In Wien sorgt gerade eine spannende Baustelle für Gesprächsstoff. Die neue Hublot Boutique Wien. Interessant: War bisher Juwelier Wagner der Franchise-Nehmer für die Hublot Boutique am Wiener Kohlmarkt, so wird es mit dem Umzug in die neue Adresse im „Goldenen Quartier“ der Konzern selbst sein, der die Boutique betreibt. Und beweist damit einmal mehr: Die Weichen der Zukunft werden in Richtung Boutique gestellt.
Beispiel III: Bulgari
Vor Jahren entschied Bulgari, Schmuck künftig nur mehr in den eigenen Boutiquen zu vertreiben. Interessant: Der Umsatz für Juweliere war stets hoch gewesen genau betrachtet konzentrierte sich der Erfolg aber sehr auf die Ring Kollektion B.zero1 – genau dieser Bereich wurde mit einer geringen Marge sehr knapp bemessen. Bedenkt man, wie stark Fachhändler bevorraten mussten und das in sämtlichen anderen Bereiche der Marke, so war der Abgang von Schmuck – später verabschiedeten sich auch die Uhren von den Fachhändlern – mit weniger Schmerzen verbunden. Der Weg ist auch hier ganz in Richtung Monobrand. Zudem weiß LVMH um die Zukunft der Schmuckmarken und deren Bedeutung Bescheid. Schon jetzt zählen neben Cartier und Chopard die Brands von LVMH mit Tiffany & Co. und Bulgari zu den bedeutsamsten der Welt und die Wachstumskurve könnte erst noch bevorstehen.
Gretchenfrage: Soll der Fachhandel noch mit LVMH?
Auch wenn sich LVMH zunehmend vom Fachhandel zu verabschieden scheint, sind es doch große Marken und Namen, die der Juwelier wohl nicht so ohne weiteres aufgeben wird. Es geht immerhin auch für den Juwelier um Ansehen, Prestige und ein hochwertiges Markenumfeld, in dem sich auch andere Luxus-Marken gerne präsentieren. Aber: Soll sich der Fachhandel für einen Konzern ins Zeug legen und dessen Vorgaben befolgen, wenn es absehbar ist, dass sich dieser von ihm verabschieden will? Es ist wohl eine Gretchenfrage und nicht einfach so mit ja oder nein zu beantworten – letztendlich muss jeder Händler das für sich selbst entscheiden. Sich nach Alternativen oder neuen Marken umzusehen, kann aber wohl nie schaden.
Übernahme-Gerüchte: Schon bald LVMH-Richemont?
Will LVMH auch seinen Konkurrenten Richemont schlucken? Bestätigt ist nichts, doch die Gerüchteküche brodelt – und es gäbe auch schlüssige Argumente dafür. So gehört die erfolgreiche Marke Cartier zu Richemont, Tiffany hingegen zu LVMH. Der starke Umsatz von Cartier ist ein Faktor, der die Übernahme von Richemont für LVMH so interessant macht. Tiffany erzielt nur etwa die Hälfte des Umsatzes, den Cartier einbringt. Und auch andere Luxusmarken von Richemont verzeichnen Erfolge – im Luxusuhrensegment etwa IWC, Jaeger-LeCoultre, Piaget, A. Lange & Söhne oder Baume & Mercier. Außerdem dafür sprechen würde, dass LVMH an der Börse 330 Milliarden Schweizer Franken höher bewertet wird, als Richemont. Leisten könnte es sich Arnault also allemal.