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Nachhaltiger als mechanische Uhren geht es nicht, so lautet ein geflügelter Satz der Uhrenbranche. Entspricht das der Realität? Wo steht die Branche, die in punkto Transformation oft als behäbig gilt? Die Branche ist offensichtlich gefordert. Denn die Erreichung der globalen Klimaziele und selbstbewusste neue Kundengruppen – Millennials, Gen Z und Gen Alpha – werden eine Veränderung hin zu sauberen, ressourcenschonenden und respektvoll produzierten Produkten vorantreiben.
Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Branche angekommen. Während es in anderen Industrien bereits seit mehr als einem Jahrzehnt ein Teil der Strategie war, bewegte sich die Uhrenbranche nur langsam. Mit ein Grund, das Selbstverständnis, dass ein mechanischer Zeitmesser das nachhaltigste Konsumgut schlechthin, also die sprichwörtliche DNA der Uhr sei. Das Argument: Mechanische Uhren überdauern oft Jahrzehnte. Werden sie liebevoll repariert und gepflegt, überdauern sie Generationen einer Familie.
Doch mit dem globalen Einstellungswandel zu einem respektvollen Miteinander von Mensch und Natur und der Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen musste die Branche reagieren. Es reichte nicht mehr, auf Imageaufbesserung zu setzen. Konkrete Maßnahmen und Entwicklungspfade zur Reduktion des CO2-Fußabdrucks der Produkte sind gefragt. Wie die aktuellen Nachhaltigkeitsberichte der Uhrenkonzerne und die Studie von Deloitte zur Schweizer Uhrenindustrie 2023 zeigen, hat „Sustainabilty“ den Nimbus des reinen Imagethemas abgelegt und ist zu einer Überzeugung geworden, die in Unternehmensstrategien und -identitäten ihren fixen Platz hat.
Sustainable Luxury: Ein Paradigmenwechsel
Dem Grunde nach ist es ein Paradoxon, dass gerade Unternehmen und Konsumgüter der Luxusbranche, die als Trendsetter im Lifestyle gelten, sich doch schwergetan haben, den Weg zu „Sustainable Luxury“, also „nachhaltigem Luxus“ zu finden. Die positiv konnotierte Verbindung von Nachhaltigkeit und Luxus gleicht einem Paradigmenwechsel. Es fiel schwer die beiden Begriffe positiv miteinander zu assoziieren, ein gemeinsames Zukunftsbild zu entwerfen. Das beruht sicherlich auf der ursprünglichen Bedeutung von Luxus, die fest in der Vorstellung verankert ist: Die Übersetzung des Wortes Luxus aus dem Lateinischen bedeutet Verschwendung und Üppigkeit. Also defacto das Gegenteil von Nachhaltigkeit, sprich, dem respektvollen Umgang mit Naturressourcen. Für die Luxusgüterindustrie nicht nur eine image- und marketingtechnische Herausforderung.
Nachhaltiger geht es eigentlich nicht
Besonders für die Uhrenindustrie und die sie umschwebende Aura des „Nachhaltiger als eine mechanische Uhr geht es nicht.“ Der Hintergrund für dieses Statement ist bekannt. Mechanische Uhren brauchen keine Batterien und keinen Strom, sie enthalten keine Seltenen Erden. Pflegt man sie gut, gehen sie auch nach 100 Jahren noch. Man kann sie immer wieder reparieren, statt auf den Müll zu schmeißen. Sie sind ein Produkt für Generationen. Eigentlich das Paradebeispiel einer gelungenen Kreislaufwirtschaft.
Doch mit Blick auf die Massenproduktion, die verbrauchten Rohstoffe, die eingesetzten Energiequellen, die Transportwege und den Handel, ist diese Frage nicht eindeutig und zufriedenstellend zu beantworten. So attestierte der WWF den größten Schweizer Uhrenmarken in einer Studie aus dem Jahr 2018, dass es noch Luft nach oben gibt. Er forderte die Unternehmen damals auf, mehr Transparenz und Verantwortung zu übernehmen.
Transparenz im Sourcing
Heute, fünf Jahre später, wird langsam sichtbar, dass die, als behäbig bekannten Konzerntanker begonnen haben, ihren Kurs zu verändern. Reine imagefördernde Lippenbekenntnisse stehen nicht mehr auf der Tagesordnung. Mit strategischen und operativen Maßnahmen wird eine seriöse Nachhaltigkeitsagenda vorangetrieben. Es ist auch eine Reaktion auf die Erwartungshaltung und Forderung der Verbraucher nach mehr Transparenz.
Die Luxusuhrenmarken untermauern dieses neue Selbstverständnis durch Veränderung im Sourcing der eingesetzten Materialen, etwa dem 100-prozentigen Einsatz von fair abgebauten Goldes bei Chopard, die Verwendung recycelter Materialien oder dem Einsatz von „Greentex Steel“ des österreichischen Stahlkonzerns Voestalpine für die Gehäuse. Jedoch nicht nur am Beginn der Lieferkette wird angesetzt. Auch im Bereich des stationären Handels wird darauf geachtet, aus welchen Quellen die Energie in den Boutiquen stammt und welche Materialen im Ladenbau zum Einsatz kommen.
Der soeben erschienene Nachhaltigkeitsbericht von Breitling bietet einen guten Einblick in die Komplexität für Unternehmen. Breitling legt offen, welche Unternehmensbereiche hauptverantwortlich für die CO2-Emissionen des Unternehmens sind. Mit 23,5 Prozent ist der Einsatz von Gold noch weit vor den Transportkosten mit 17,5 Prozent. Eine weitere Überraschung: Die Möbelausstattung der Boutiquen trägt mit 7,1 Prozent weitausmehr zum CO2-Fußabdruck Breitlings bei, als etwa der verwendete Stahl. Dieser findet sich mit 1,2 Prozent am unteren Ende der CO2-Bilanz.
Das Bewusstsein in den Unternehmen ist angekommen. Der Druck zu noch mehr Bewegung wird sich jedoch noch verstärken und kommt für die Uhrenindustrie aus zwei Richtungen: Der Gesetzgebung und den Konsumentinnen und Konsumenten von morgen. So gelten in der Schweiz seit diesem Jahr neue Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. In der EU wird ab dem Geschäftsjahr 2024 von Unternehmen eine Berichterstattung über wichtige Umwelt-, Sozial- und Governance Themen (kurz: ESG) ihrer Wertschöpfungskette verlangt. Diese Berichterstattung muss die Auswirkungen auf die Unternehmen selbst sowie die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Umwelt und die Gesellschaft berichten. Zusätzlich, schätzt Deloitte in seiner aktuellen Studie zur Schweizer Uhrenindustrie 2023, wird ein weiterer EU-Mechanismus zur Anpassung der Kohlenstoffgrenzwerte, der Carbon Border Adjustment Mechanism oder kurz CBAM), der für bestimmte Produkte am 1. Oktober 2023 in Kraft getreten ist, auf Marken und Komponentenhersteller auswirken. Der CBAM schreibt eine Steuer zum Emissionsausgleich für Importeure von Aluminium, Eisen und Stahl vor. Ziel ist es, die Emissionen auszugleichen, die bei der Gewinnung in Drittländern entstanden sind. Ein Blick in die Zahlen zeigt: Die Schweizer Uhrenindustrie verbraucht fast 9.000 Tonnen Stahl pro Jahr.
Selbstbewusst und willensstark
Eine weitere Ebene sind die Uhrenkäufer von morgen, Millennials, Generation Z, Generation Alpha. Weshalb sollten diese Generationen für die strategische Planung der Luxusuhrenmarken von Interesse sein? Fernando Fastoso, Professor für „High Class und Luxury Brands“ an der Hochschule Pforzheim, bringt es mit seiner Antwort im Podcast „Freitagsspitzen“ auf den Punkt: „Während für die sogenannte „Boomer“-Generation Luxus ein Genuss und Nachhaltigkeit meist eine Pflicht ist, ist für Generation Z und Generation Alpha Nachhaltigkeit ein Muss.“ Er betont darin ebenfalls, dass die Luxusgüterindustrie die Dringlichkeit erkannt hat. Für sie gehe es nun darum, Position zu beziehen. „Denn“, so Fastoso, „die jungen Kunden werden bis 2025 rund 40 Prozent des Marktes ausmachen.“
Das unterstreicht die aktuelle Studie von Deloitte zur Schweizer Uhrenindustrie. Für diese befragte Deloitte weltweit neben Topmanagern der Schweizer Uhrenindustrie und Lieferanten und Industrieexperten auch 6.045 Endkonsumenten. Wie schon im letzten Jahr legen die jüngeren Generationen mehr Wert auf die Nachhaltigkeit einer Uhr, wobei Gen Alpha (41 Prozent), Gen Z und Millennials (beide 40 Prozent) den Nachhaltigkeitsnachweisen einer Marke mehr Bedeutung beimessen. Laut Deloitte‘s Gen Z and Millennial Survey sind sechs von zehn Gen Zs und Millennials bereit, mehr für nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu bezahlen. Obwohl Baby Boomer im Vergleich dazu am ehesten eine Uhr kaufen würden, wenn sie ihnen gefällt (33 Prozent), war Nachhaltigkeit fast genauso wichtig (30 Prozent), während das Markenimage nur an dritter Stelle lag (17 Prozent). Für Deloitte spricht das eine klare Botschaft: Millennials und Gen Z, Eure Eltern und Großeltern hören zu! Die Uhrenindustrie, ebenfalls.