Lohnen sich erweiterte Öffnungszeiten im Einzelhandel?© shutterstock
Im Gespräch: Heidrun Bollinger von Juwelier Egretzberger in Regensburg und Markus Broszio von Kappauf und Groß. Thematisiert wurden Pro und Kontra Öffnungszeiten im Einzelhandel, Markenstrategien, zusätzliche Aktivitäten am POS und wie die Branche als Arbeitgeber attraktiver wird.
Shopping Tempel, wie das renommierte Einkaufsparadies Breuninger bespricht dieser Tage wieder die kommende „lange Marktnacht“. Kunden haben bis 22.00 Uhr die Möglichkeit nach Lust und Laune zu shoppen. Mit Unterhaltungselementen, wie einem Gewinnspiel, kleinen Geschenken oder Pop Up Stores, will man zu späterer Stunde Käuferschichten anlocken und zum Konsum bewegen. Wie geht es nun dem Einzelhandel damit? Braucht es weitere Initiativen wie zusätzliche Öffnungszeiten, um das Geschäft anzukurbeln? „Der Handel muss bereit sein für Veränderungen und neue Wege und Ideen“ das sagt Markus Broszio, von Kappauf und Gross. Wenn das nicht passiert, könnten Kunden ins Internet oder andere Städte flüchten.
Blickpunkt Juwelier wollte es genau wissen und fragte neben Kappauf & Gross auch bei Juwelier Egretzberger nach:
Markus Broszio, betont zwar, dass der Handel „generell immer bereit sein muss für Veränderungen und für neue Wege und Ideen.“ Öffnungszeiten über 20.00 Uhr sind für ihn als Einzelgeschäft eher schwierig. „Als Event mit der gesamten Straße zusammen lohnt es sich aber, besonders in kleineren Gemeinden. Wir hatten lange Zeit das sehr beliebte Reichsstraßenfest, welches großes Interesse in Berlin auslöste. Leider hat sich dieses irgendwann selbst abgeschafft, da es an guten Veranstaltern mangelte und viele Einzelhändler schlichtweg zu faul waren, um am Wochenende noch einmal aufzusperren.“
Heidrun Bollinger von Juwelier Egretzberger begrüßt zwar Initiativen für den Einzelhandel, zeigt sich aber über verlängerte Öffnungszeiten wenig begeistert: „Wir haben das in unserem Juweliergeschäft schon mehrfach probiert: Zum Beispiel „Die lange Nacht“, „Shopping-Nacht“ oder „Langer Donnerstag“ unter dem Jahr. Auch während der Weihnachtszeit beispielsweise, haben wir u.a. über Social Media die verlängerten Öffnungszeiten bis 22 Uhr kommuniziert. Die Resonanz war nicht hoch genug, als dass wir es wiederholen würden. Ziel war es eigentlich, besonders beschäftigte Kunden einzufangen, die zu den normalen Öffnungszeiten noch arbeiten, oder die einfach dem Tagestrubel entkommen wollen und abends dann „gemütlicher“ einkaufen wollen. Bummeln ja, aber nichts kaufen, das ist leider zu beobachten.“
„Durchgängige Kernöffnungszeiten“
Heidrun Bollinger ortet vor allem Gefahr vor zu vielen geschlossenen Geschäften: „Viele Geschäfte öffnen und schließen nach eigenem Geschmack, eben je nach Sinn für ihre Branche. Durchgängige Kernöffnungszeiten fände ich sehr gut, aber ich kann auch verstehen, dass das besonders für kleine Geschäfte schwierig sein kann. In Regensburg hat sich beispielsweise der Montag als Ruhetag eingeschlichen. Das finde ich sehr gefährlich und kann sich sogar noch auf den Dienstag ausweiten. Wir haben oft am Montag hervorragenden Umsatz und ich denke mir, dass es noch besser wäre, wenn andere Geschäfte auch geöffnet hätten. Tagesgäste zum Beispiel, die sich vorher keine Gedanken über Öffnungszeiten gemacht haben, sind manchmal überrascht, wenn sie montags ankommen. Auch das sorgenlose Bummeln ist nicht mehr möglich. Das finde ich sehr gefährlich, zumal es kein Gewinn für die Stadt ist.“
Längere Öffnungszeiten seien lediglich eine Verschiebung des Umsatzes meint Broszio: „Wir sind die Marke und das Ziel. Sind wir attraktiv genug, kommt der Kunde zu unseren Zeiten.“ Und auch Bollinger schlägt in dieselbe Kerbe: „Wir können nicht 24/7 wie online zur Verfügung stehen. Wir sind Menschen, keine Maschinen. Ich denke, jeder Kunde schafft es auch zu den regulären Zeiten zu uns zu kommen, wenn er will.“
Auf die Frage, ob Betriebe heute zur Marke werden um als Arbeitgeber attraktiver zu werden, antwortet Broszio: „Wir müssen gute menschliche und vor allem empathische Chefs sein. Das ist heute eminent wichtig“. Denn, wie in allen Branchen sei es schwierig gutes Personal zu finden. „Wir müssen umdenken: Mehr Gehalt, bessere Konditionen, weniger Gewinn für uns.“
Längere Öffnungszeiten kein Problem für Top-Personal
Und Heidrun Bollinger berichtet: „Früher hatten wir teilweise 100 Bewerbungen auf eine einzige Anzeige, das sieht heute ganz anders aus und lässt sich manchmal an einer Hand abzählen. Dafür bietet sich jetzt eine große Chance für Quereinsteiger an. Mit hoher Motivation und einer schnellen Auffassungsgabe können diese gut eingelernt werden und zu unverzichtbaren Mitarbeitern werden. Dann sind auch längere Öffnungszeiten oder die Samstagsarbeit kein Thema mehr“.
„Der Einzelhandel punktet durch seine Einzigartigkeit“
Für Bollinger ist vor allem „gutes Marketing immer Gold wert“. „Immer wieder „überraschen“ wir Neukunden mit unserer natürlichen Freundlichkeit, unserem besonderen Sortiment und unserer charakteristischen Inneneinrichtung. Auch ein noch so perfekt geführter Markenstore wird scheitern, wenn das Herz fehlt. Noch dazu können wir als Fachgeschäft ein viel breiteres Spektrum anbieten, da wir nicht an eine Marke und damit gekoppelten Auflagen gebunden sind. Wir haben die Freiheit uns für das zu entscheiden, was uns und unseren Kunden gefällt und wir kennen unsere Kunden schließlich am besten. Kunde wollen gut sortierte Fachgeschäfte, deren Inhaber mit Zeit für Beratungen, Persönlichkeit, Geschichte und einzigartigen Produkten zur Verfügung stehen. Daraus ziehe ich den größten Pluspunkt für den Einzelhandel in der heutigen Zeit.“
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