Kommentar: Merkels Reise

Die jüngste Corona-Konferenz von Bund und Länder kommentiert Ulrich Voß, Chefredakteur „Blickpunkt Juwelier“


Es war vor allem der Bund, der beim letzten Treffen mit den Länderchefs möglichen Lockerungen im Umgang mit Corona eine Absage erteilt hat. Viele Einzelhändler haben es sich anders, haben sich mehr Freiheiten gewünscht. Doch wie aus den Beschlussvorlagen des Bundes hervorgeht, war es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Weg vorgezeichnet hat. Sie hat sich ans Steuer gesetzt und entschieden, dass vorerst mit gleichem Tempo weitergefahren wird.

Dabei dürfte ihr beruflicher Hintergrund als Physikerin eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Aber auch ihr Verständnis als langjährige Chefin des größten, wirtschaftlich stärksten und zentralsten Landes von Europa. Eine solche Entscheidung zu treffen, dazu gehört schon ein großes Selbstbewusstsein, ein Stärke-Vertrauen. Ein Gerard Schröder als Politiker, der aus der Opposition kam, hätte vielleicht anders entschieden. Ein Boris Johnsen oder ein Sebastian Kurz, die entweder selbst alles neu machen wollen, beziehungsweise von denen es erwartet wird, haben anders entschieden. Merkel dagegen hat den abwartenden Weg gewählt. Sie fährt für die nächsten Tage mit unverändertem Tempo auf der Mittelspur weiter.

Die Zeit bis zur nächsten Entscheidung wird sie nutzen, um aufmerksam ihre eigenen Bordcomputer zu beobachten und nach rechts und links zu schauen. Wer wird überholen, wen wird sie überholen? Was sagt der Verkehrsfunk über die Situation in anderen Teilen der Welt? Viele Kollegen, die einen lockereren Umgang mit dem Virus gepflegt haben, sind abgestraft worden. Kollege Trump, der anfangs von einem Schnupfen sprach, hat heute die größten Probleme und ein Drittel aller weltweit registrierten Infizierten. Auch Belgien, eines der Länder mit den schlimmsten Corona-Zahlen, hatte verhältnismäßig spät gegengesteuert. Großbritannien hat ebenfalls hart bezahlt. Und auch der viel diskutierte Weg in Schweden ist zumindest laut „SPIEGEL“-Analyse (hier) längst keine Erfolgsmeldung, sondern weiterhin in allen Kreisen hoch umstritten. Merkel hat einen im wahrsten Sinn des Wortes konservativen, einen werte-konservierenden Weg bis zum nächsten Corona-Gipfel gewählt. Abwarten und beobachten. Im schlechtesten Fall sind es zehn verschenkte Tage, die auch im Handel teuer bezahlt werden. Im besten Fall war es eine Richtungsentscheidung, die ein geschwächtes Land nicht weiter schwächen.

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