Ein auch aus heutiger Sicht äußerst weitsichtiges Interview führte „Blickpunkt Juwelier“ im Mai 2015 mit Marc Czemper von Casio Europe. Die damals angesprochenen Themen sind auch heute noch aktuell.
Blickpunkt Juwelier: Was war die Vorstellung der neuen Apple Watch – der Anfang einer neuen Epoche, die unsere Branche schwächt wie damals die Quarzkrise?
Marc Czemper: Ja, der Eintritt des hocherfolgreichen und kerngesunden Global Players Apple in unseren Markt läutet zweifelsohne eine neue Epoche ein. Vielleicht wird man ihn irgendwann in der Zukunft mit der Quarzkrise in Verbindung bringen. Fakt ist jedoch, dass es nicht zwingend eine wiederholte Schwächung der Branche geben muss. Von zentraler Bedeutung wird sein, wie sich die Uhrenindustrie diesem neuen Thema stellt beziehungsweise den neuen und unter anderem auch von der Apple-Watch initiierten Ansprüchen auf Kundenseite öffnet und fortan mehr Uhren entwickelt, die den veränderten Wünschen und Erwartungen entsprechen. Offen gesprochen, spüre ich aber heute sowohl im Handel als auch in der Industrie noch nicht die gebotene Offenheit beziehungsweise notwendige Reaktion!
BJ: Wie präsent ist den Konsumenten die Apple Watch, und wie sollte der Juwelier vorbereitet sein?
Czemper: Es muss davon ausgegangen werden, dass nunmehr nahezu jeder an einem Uhrenkauf interessierte Konsument zumindest etwas über die Apple Watch gehört hat beziehungsweise zumindest etwas über dieses Thema weiß. Insofern kann ich nur sehr deutlich empfehlen, in einem Beratungsgespräch auch das Thema ‚Smart(e) Uhr’ oder gar die Apple Watch zu berücksichtigen – das heißt das Thema pro-aktiv anzusprechen. Auf diese Weise kann der Juwelier durch Sachkundigkeit punkten und seine Kompetenz als Fachberater für das Thema ‚Uhr’ (wenn auch hier nur im weiteren Sinne) untermauern.
BJ: Es ist genau 13 Jahre her, dass die Eta angekündigt hat, keine Rohwerke mehr an andere Firmen liefern zu wollen. Passiert ist in all den Jahren recht wenig. Wie lange dauert es, bis unsere Branche eine Antwort auf die Apple-Watch hat?
Czemper: Erste Reaktionen konnten wir während der Baselworld 2015 sehen. Es sind einige und teilweise auch interessante Ideen, Konzepte, Studien und Projekte vorgestellt worden. Leider sind sie aber allesamt noch in der Entwicklung und fehlen dem Handel heute als konkrete Antwort auf steigendes Konsumenteninteresse! Somit bleibt Casio – gemäß meinem heutigen Kenntnisstand – der einzige Uhrenhersteller auf diesem Gebiet und ist hier quasi der Pionier. Denn bereits seit Mitte 2014 verkaufen wir mit unseren Partnern sehr erfolgreich ‚smarte Uhren’, u.a. die EDIFICE EQB-500 mit Bluetooth-Verbindung zu gängigen Smartphone-Modellen.
BJ: Wegen der schlechten Akkulaufzeit ist die Apple Watch gänzlich ungeeignet, mit ihr ein Wochenende wandern zu gehen. Eine smarte Casio schon. Sollte dies nicht die Welt (und der Juwelier) wissen?
Czemper: Ja, unsere Handelspartner kennen dieses Argument sehr gut, und wir als Hersteller werden alles uns mögliche unternehmen, um den Konsumenten die Vorzüge einer ‚autarken’ und verlässlichen Casio-Uhr mit Solar-Betrieb zu vermitteln.
BJ: Apple startet mit Schwierigkeiten wie etwa der schlechten Akkulaufzeit oder den angeblichen Problemen bei tätowierter Haut. Sind das leicht zu behebende Kinderkrankheiten oder zumindest Argumente für eine smarte Casio, die bereits im Markt getestet ist?
Czemper: Auch wir mussten während der mehrjährigen Entwicklung unserer smarten Uhren ungeahnte Schwierigkeiten bewältigen. Es ist eben eine Innovation – mit all ihren Chancen und Tücken! Man muss aber davon ausgehen, dass auch die Firma Apple wie wir ein sehr hohes Maß an Ernsthaftigkeit beweisen wird und die jetzt aufgetretenen Schwierigkeiten versuchen wird, zu bewältigen.
BJ: Beobachten Sie die Entwicklung der neuen Smartwatches von Frédérique Constant, Swatch oder Breitling? Könnten es negative Mitbewerber sein für Casio?
Czemper: Unsere Branche benötigt innovative Uhren, um aus Konsumentensicht auch künftig relevant zu bleiben. Insofern begrüße ich die erkennbaren Initiativen einiger Hersteller in jüngster Zeit. Ich hoffe jedoch, dass die Marktreife der in Aussicht gestellten Innovationen nicht mehr sehr lange auf sich warten lässt und dass diese Uhren ohne größere technische Schwierigkeiten funktionieren.
BJ: Wird es künftig eine Koexistenz geben von „echten“ Smartwatches, die es bei Media Markt oder in Stores gibt und erweiterten Modellen der traditionellen Uhrenlieferanten, die der Juwelier verkauft?
Czemper: Ja, eine solche Entwicklung ist grundsätzlich vorstellbar. Tendenziell kann es aber auch in absehbarer Zeit ‚echte’ Smartwatches beim Uhren-Spezialisten beziehungsweise Juwelier geben. Dies liegt dann wohl hauptsächlich in der Hand der Uhrenhersteller, inwieweit sie der Entwicklung folgen möchten, beziehungsweise es können oder sie gar selbst gestalten wollen. Das Potential wird auf jeden Fall wachsen.
BJ: Also ist alles gut?
Czemper: Nein. Den Konsumenten wird bei der Apple Watch momentan leider sehr genau das Gegenteil erklärt: Der Konsument lernt, dass er diese Art von Uhren nicht (mehr) im klassischen Uhrenfachhandel zu suchen braucht. Hier sehe ich eine Gefahr, denn der Konsument sollte beim Thema Uhr immer und zuallererst an den Uhrenspezialisten mit Kompetenz und Service denken! Wir bei Casio verfolgen daher eine andere Strategie, nämlich die klassische Distributionszielsetzung mit Schwerpunkt auf dem service-orientierten und kompetenten Fachhandel.
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Serie:
Game Changer: Die Apple Watch stellt die Uhrenwelt auf den Kopf. Mittlerweile verkauft der Tech-Konzern mehr Uhren als die gesamte Schweiz – gerade einmal fünf (!) Jahre nach Markteinführung. Wie kam es dazu? Und wie geht es weiter? Lesen Sie unsere Serie „Apple Watch – Chronologie eines Mega-Erfolgs“. Bisher sind folgende Beiträge erschienen:
- Der Beginn: Was die Schweiz 2014 zur Apple Watch sagt.
- Erste Tests: Die Apple Watch Series 1 fällt durch.
- Keine Angst vor Apple: Was Mitbewerber Casio sagt.
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