Kommentar: Chronext zündet die zweite Stufe

Die Welle rollt. Nach Nomos hat nun auch Sinn bekannt gegeben, direkt mit der Online-Plattform Chronext zusammenzuarbeiten. Der Juwelier sollte darauf nicht eingeschnappt reagieren – aber den Taschenrechner zur Hand nehmen, findet Blickpunkt Juwelier-Chefredakteur Ulrich Voß.


Nomos hatte eine Tür aufgemacht, die Sinn nun ebenfalls benutzt. Ob noch weitere Lieferanten vor dieser Tür stehen und überlegen, einzusteigen, ist ziemlich sicher. Die Frage ist vielmehr wie viele es sind. Chronext-CEO Philipp Man sprach bereits während der ersten Diskussion um Nomos von rund einem Dutzend Hersteller. Im aktuellen Handelsblatt-Interview wird er noch konkreter. Mittlerweile seien es 15 Hersteller. Neben Nomos und Sinn auch Arnold & Son (Citizen-Group), Epos, Linde Werdelin sowie Maurice de Mauriac, also mit Ausnahme der beiden deutschen Hersteller allesamt Marken, die keine große Rolle in Deutschland spielen. Laut Philipp Man gebe es einige Marken, die sich nach dem Nomos-Ärger aber derzeit nicht trauen würden, aus der Deckung zu kommen und die Kooperation öffentlich zu machen.

Man muss kein Prophet sein, um sagen zu können, dass weitere Hersteller folgen werden. Zu angespannt ist die Lage der Lieferanten derzeit, zu verhalten ordert der europäische Handel.

Auch muss man kein Prophet sein, um einen weiteren Anstieg der Bedeutung von Online-Plattformen vorauszusehen. Die beiden entscheidenden Fragen sind eher, ob sich das Geschäftsmodell Chronext überhaupt trägt und ob sie an begehrte neue Modelle herankommen. Im Fall von Rolex läuft die Zeit gegen Chronext. Die Begehrlichkeit der Marke mit der Krone nimmt weltweit zu. Laut Watch Pro gibt es in den USA bereits Juweliere, die Sportmodelle der Marke gar nicht mehr ins Schaufenster stellen, da sie keine falschen Erwartungen wecken wollen und die Uhren ohnehin an Stammkunden verkaufen und nicht „in den freien“ Verkauf geben. Ohne Rolex-Uhren wird es Chronext schwer haben.

Wie bedeutend die Marke für Online-Händler ist, hat die Investmentbank RBC unlängst ermittelt. Rolex ist selbst bei Chrono24, die sich auf gebrauchte Uhren spezialisiert haben, dominierend. Derzeit hat Chrono24 73.000 Rolex-Modelle gelistet – so viele wie von Omega, Cartier, IWC, JaegerLe-Coultre und Panerai zusammen. Im Vergleich zu fast allen anderen Herstellern sei die Quote an neuen, ungetragenen Modellen von 2018 bei Rolex sehr gering. Bei Rolex sind es 12 %, bei Omega 36%. Tritt also Rolex weiterhin auf die Bremse, wird der Online-Kanal schwitzen.

Dem Juwelier bleibt also die Hoffnung, dass sich Chronext als Blase herausstellt. Doch Chronext werden weitere Anbieter folgen. Denn was sich nicht mehr ändern wird, ist die Relevanz des Kanals insgesamt. Verbraucher wollen online shoppen – auch Luxus-Güter.

Nomos hat nicht nur eine Tür, sondern ein Scheunentor geöffnet und dem Online-Handel einen riesengroßen Imagegewinn gebracht. Nach Sinn werden weitere Marken folgen. Dem Juwelier bleibt einzig die Möglichkeit, seine Lieferanten noch genauer unter die Lupe zu nehmen. Nicht entscheidend ist dabei, ob der Partner neben dem stationären Handel auch andere Kanäle bedient, sondern einzig und allein, ob der Ertrag für den Juwelier stimmt. Die Erfahrungen – auch durch die Margenkürzungen von Rolex – haben gezeigt, dass sich jede Marke beim Juwelier eigenständig tragen muss. Denn selbst mit einer Rolex-Konzession lässt sich kaum eine weitere Marke quer subventionieren. Das Mittel der Wahl für den Juwelier ist also der Taschenrechner.

Der Konsument hat mit seinem Online-Kaufverhalten dazu beigetragen, dass die Vielfalt sinkt, zunächst im stationären Handel, später insgesamt. Glücklicherweise bleiben dem flexiblen Juwelier neben seiner Beratungs- und Service-Kompetenz auch noch weitere Segmente wie Schmuck als Kompensationsmöglichkeiten.

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