Lockdown: Von „Enteignungen“ und „Entschädigungen“

Viele Juweliere sind sauer über strenge Vorgaben zu Ladenschließungen, aber wenig Unterstützung von staatlicher Seite. Foto: Alex Yeung/Shutterstock.com

Viele Juweliere sind sauer über strenge Vorgaben zu Ladenschließungen, aber wenig Unterstützung von staatlicher Seite. Foto: Alex Yeung/Shutterstock.com

Die Wortwahl spitzt sich zu: Manche Juweliere sprechen von staatlichen „Enteignungen“ durch den Lockdown, manche Händler fordern nicht „Hilfe“ vom Staat, sondern „Entschädigung“. Je länger der Lockdown anhält, desto größer wird der Unmut vieler Händler.


Die Geschichten gleichen sich. Egal, ob es ein Juwelier mit Geschäft im Einkaufszentrum ist oder der gehobenere Platzhirsch: Nach dem Gang zum Steuerberater macht sich Ernüchterung breit und der Unmut über das Vorgehen des Staates im Lockdown wächst. Generell geht es um die Definition des Lockdowns, konkret um die staatlichen Hilfestellungen, beispielsweise der „Überbrückungshilfe III“.


Manch ein Juwelier sieht sich angesichts der Lockdown-Vorgaben nicht mehr als Chef im eigenen Haus. Wenn einem von außen diktiert werde, dass man den Laden nicht mehr öffnen dürfe, dann müsse man auch für die Konsequenzen gerade stehen. Wenn einem solche Entscheidungen abgenommen werden, dann sie dies eine „Enteignung des Mittelstandes“, klagt ein Juwelier im Gespräch mit „Blickpunkt Juwelier“. Unter solchen Bedingungen lasse sich kein Einzelhandelsgeschäft führen. Vor allem Händler in Frequenzlage, die hohe Mieten zahlen, sehen sich kaum in der finanziellen Lage, die Umsatzrückgänge auszugleichen. Wenn dann auch noch die Vermieter unflexibel sind, steht das Aus sprichwörtlich vor der Tür, berichtet ein Juwelier im Gespräch mit „Blickpunkt Juwelier“.

VERMIETER ZEIGEN SICH UNFLEXIBEL

 

Wie groß die Not aller Beteiligten ist, wird an dem Bild deutlich, das sich dem Juwelier offenbart, wenn er hinterm Tresen seines Geschäftes im Einkaufszentrum steht und über den Flur sieht. Das gegenüberliegende Geschäft, ein Modehändler, hat nach Insolvenz geschlossen. Zu sehen ist ein leeres Riesengeschäft mit Kabeln aus der Decke und Logo über der Tür. Die Centerleitung hat die Leerfläche noch nicht mal abgeklebt – das Abkleben verursacht schließlich Kosten.

Ein anderer Juwelier stößt sich an der Formulierung „Überbrückungshilfe“, überhaupt dem Wort „Hilfe“. Er sieht sich nicht als Hilfesuchender. „Uns muss nicht geholfen werden, wir müssen entschädigt werden“, sagt er. Denn wenn der Einzelhandel im Unterschied beispielsweise zum Bau, zur Industrie oder einem gewöhnlichen Bürobetrieb schließen muss und damit einen Dienst für die Gemeinschaft erbringt, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen indem man die Kontakte reduziert, einen Dienst, den andere nicht erbringen, dann müsse man für diesen Schaden aufkommen, also entschädigt werden. Die Teilung der Last sei ungleich. Er fordert eine Art Solidarbeitrag von den Branchen, die nicht vom Lockdown betroffen sind.

JUWELIER FORDERT SOLDARBEITRAG VON ANDEREN BRANCHEN

 

Zumal der Einzelhandel laut HDE gar kein besonderer Infektionsherd sei. Die Infektionszahlen der Mitarbeiter im Einzelhandel seien nicht größer als der Bundesdurchschnitt. Dies bestätigt eine Umfrage der Wochenzeitung „Die Zeit“. Demnach hätte es unter den Beschäftigten von Supermärkten und Drogeriemärkten, also Einzelhandelsgeschäften die auch während des ersten Lockdowns geöffnet hatten, kein höheres Infektionsgeschehen gegeben als im Bundesdurchschnitt. Die Drogeriemarktkette dm habe bei der Umfrage angegeben, dass von den 41.000 Mitarbeitern nur 0,1 % positiv auf Corona getestet worden seien. Dies seien 40 Personen. Bei Rossmann seien es 36 Mitarbeiter von 33.400 gewesen. Auch die Supermarktketten Rewe und Kaufland hätten für ihre Mitarbeiter eine Ansteckungsrate deutlich unter dem Bevölkerungsdurchschnitt gemeldet.

Was den Juwelier besonders aufregt. Die Einstiegshürde für die „Überbrückungshilfe III“ sie bewusst hoch gesetzt. Wer nachträglich „Hilfe“ für November oder Dezember erhalten wolle, müsse beispielsweise nachweisen, dass er in zwei aufeinanderfolgenden Monaten des Jahres 2020 mindestens 50 % weniger Umsatz gemacht habe. In seinem Fall sei der April sehr schlecht gewesen, der Mai aber nicht mehr. Gleiches gelte für den Dezember, der „zu gut begonnen“ hätte, um für die Zeit des Lockdowns ab dem 16. Dezember eine Kompensation zu erhalten. Sein Steuerberater macht ihm keine Hoffnung und geht davon aus, dass er außer der ersten Corona-Hilfe im Frühjahr keine Unterstützung mehr bekommen werde.

Eine mögliche Lösung sieht Juwelier Jürgen Grün im Gang zum Anwalt. Seine Strategie: Juweliere sollten die Dezemberhilfe beantragen und bei Nicht-Gewährung vor Gericht ziehen wegen Ungleichbehandlung beispielsweise gegenüber den Gastronomen, die seit Anfang November die Überbrückungshilfe erhalten. Nur so könne man Druck aufbauen. Der Handelsverband Deutschland (HDE) vermutet, dass genau solch ein Szenario in politischen Kreisen längst bedacht worden ist. Im Vorfeld sei deswegen die Messlatte für die Dezemberhilfe höher gesetzt worden. Der Handelsverband vermutet, die Bundesregierung habe kalte Füße bekommen. Eine Weiterführung „der überaus großzügigen November- und Dezemberhilfen“ hätte den Bund überfordert – zumal wenn nun auch der Handel integriert worden wäre, heißt es beim HDI. Sprich: Der Bund könne sich die Hilfe für den Einzelhandel schlicht nicht leisten und habe deswegen die Hürden bewusst hoch gesetzt. (uv)

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