Künftig erhält der Juwelier Auszeichnungen für einzelne Kompetenzbereiche, auf die er sich spezialisiert hat. In anderen Branchen ist der Spezialisierungsgrad weiter fortgeschritten und hat zu einer gestiegenen Attraktivität und zu höheren Verdienstmöglichkeiten geführt.
(Teil 1) Je mehr Informationen auf einen hereinprasseln, desto eher schaltet der Kopf ab. Was nimmt man wahr? Nur das, was wirklich persönlich relevant erscheint. Wen nimmt man wahr? Den Spezialisten. Deswegen gibt es künftig nicht mehr den „Schmuck-Spezialisten“, sondern den „Farbedelstein-Experten“ oder den „Diamantschmuck-Experten“.
Im Aufmerksamkeits-Dschungel der heutigen Zeit konkurrieren tausende Informationen, Angebote, Optionen gegeneinander. Kein Mensch kann diese Vielzahl aufnehmen, geschweige denn verarbeiten. Zum eigenen Schutz blendet das Gehirn den Großteil aus. Es sein denn, es ist von persönlicher Bedeutung. Diese Informationen werden wahrgenommen. Auf den Handel bezogen braucht es eine Spezialisierung. Der Obst- und Gemüsehändler tut dies mit regionalem Angebot, das der Kunde sofort wahrnimmt. Der Supermarkt richtet eine Bio-Ecke ein. Ein Blick auf den Fahrradhändler weist interessante Parallelen zum Juwelier auf.
Vergleich 1: Der Fahrradhändler
Totgesagte leben länger. Vor allem, wenn sie sich neu erfunden haben. Vor einem Jahrzehnt noch galt der örtliche Fahrradhändler als Dinosaurier. Das Online-Angebot war zu stark, Supermärkte kamen hinzu und schließlich E-Scooter mitsamt Verleih-Konzept schienen den guten, alten Drahtesel verzichtbar zu machen. Es kam anders. Die Attraktivität des Fahrrads und damit des lokalen Fahrradhändlers ist gestiegen. Seit 2017 steigen die Absatzzahlen, berichtet die Statistikdatenbank Statista. 2020 wurden rund 5 Millionen Fahrräder verkauft, 2 Million davon waren E-Bikes. Der Durchschnittliche Verkaufspreis lag in 2020 bei 1.300 Euro.
Nur allein dem E-Bike-Boom den Erfolg zuzusprechen, würde zu kurz greifen. Fahrräder als solche sind heute unverzichtbares Verkehrsmittel und für viele Ausdruck ihres momentanen Lifestyles geworden. Zudem sind sie infektionssicher, aktivierend und umweltschonend.
Das Fahrrad ist zum Symbol geworden. Und jeder Kunde hat seine eigenen Vorstellungen von diesem Symbol. Der eine will ein Rennrad, der andere ein Gravel-Bike, ein puristisches Mountainbike, einen Cruiser oder ein Kinderfahrrad. Um diesen Traum zu verwirklichen, suchen Konsumenten ihre passgenaue Lösung – beim Spezialisten! Kein Kunde mit Anspruch ans Produkt würde an den Supermarkt oder das Kaufhaus denken, um dort sein Wunschrad zu suchen. Er wird zum Spezialisten gehen, weil er ihm am ehesten zutraut, das perfekte Rad für ihn zu haben.
Übrigens: Das, was für den Fahrradhändler das E-Bike ist, ist für den Juwelier die Smartwatch. Es ist ein neues Thema mit unglaublich großem Potenzial. Aber: Es wird nicht nur im angestammten Handelsnetz vertrieben. Smartwatches gibt es auch im Apple-Shop beim Hersteller, bei Media-Markt & Co. oder dem Sportfachhandel. E-Bikes gibt es mittlerweile immer mehr auch beim Motorradhändler, als „Schlüssel zur E-Mobilität“. Merke: Die Smartwatch ist so wenig klassische Uhr, wie das E-Bike ein Drahtesel. Aber beide brauchen den stationären Händler.
Vergleich 2: Der Barista
Bei Starbucks gibt es keine Kellner mehr. Sie sind abgeschafft. Warum? Weil das Konzept des amerikanischen Franchise-Unternehmens die ursprüngliche Aufgabe der Kellner, nämlich das Bestellte an den Tisch zu bringen, nicht mehr braucht. Aus dem Verlust dieser Stelle macht Starbucks eine Tugend. Der Starbucks-Kunde stellt sich gern selbst an, schließlich will er sich seinen individuellen Kaffee zubereiten lassen. Der Barista ist derjenige, der den Durchschnittspreis für eine Bestellung kräftig erhöht. Hätte Starbucks das bekannte Konzept mit Kellner und Tisch-Bestellung realisiert, wären auch die Preise vergleichbar zum Mitbewerb. So aber spielt Starbucks in einer eigenen Liga.
Kern der Verteuerungs-Strategie ist der Kaffee selbst. Er wird vom Barista eigens auf Wunsch hergestellt. Da Starbucks anders sein will, sind auch viele Bezeichnungen besonders. Der Barista, also der ehemalige Kellner, wurde auf einem internen zweiwöchigen Seminar geschult und trägt nun die hohe Kaffee-Kultur Italiens in sich. Er schäumt Milch auf, bedient meist den vollautomatischen XXL-Espresso-Automat Typ Mastrena II (vollautomatisch mit computergesteuertem Menü, Neupreis ca. 17.000 Euro) und individualisiert den Kaffee auf Wunsch mit Flavor, also Sirup. Daneben gibt es noch weitere „Service-Themen“, die die hohen Preise rechtfertigen. Bei Starbucks kann man so lange sitzen wie man will (es gibt ja schließlich keine kontrollierenden Kellner), es gibt kostenloses WLAN und das Interieur ist einzigartig locker für Frequenzlage.
Diese Leistungen sind den Starbuckskunden viel Geld wert. In Deutschland kostet ein Caffé Mocha Venti (592 ml) derzeit meist 5,79 Euro. Für Starbucks ist dies kein Kaffee. Es ist ein Erlebnis. Für Freunde echten Genusses.
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(Teil 2) Wer im Aufmerksamkeits-Dschungel überlebt
Es braucht Experten: Vergleiche mit dem Autohändler und dem Arzt