Philippe Roten, bis Ende 2023 CEO von CHRONEXT.
Uhrenmarken werden zunehmend selbstbewusster. Es ist die Kreativität des Fachhandels gefragt. Philippe Roten, CEO von Chronext, sieht in Gebrauchtuhren und CPO ein neues, chancenträchtiges Geschäftsfeld für den Fachhandel. Dafür geht er offen auf den Fachhandel zu. Ein Gespräch über positive Anstöße aus Marktveränderungen, Planungsunsicherheiten und erhöhten wirtschaftlichen Druck.
Das Gespräch mit Philippe Roten wird kurz vor der Bekanntgabe der Übernahme der Markenrechte sowie sämtlicher URLs von Watchmaster geführt. Auf schriftliche Nachfrage über die strategische Ausrichtung in Folge des Kaufs, gibt sich Chronext noch etwas zugeknöpft. Die Marke werde als eigenständige Brand weitergeführt. Die Ausrichtung ziele darauf ab, die Stärken beider Marken zu kombinieren, so Chronext.
BLICKPUNKT JUWELIER: Mit Blick auf die Marktentwicklungen meinten Sie in einem Podcast, dass man die Schwingungen der Veränderung im Vorhinein spüren müsse. Welche Schwingungen nehmen Sie gerade am Markt wahr?
PHILIPPE ROTEN: Es gibt aufgrund des schwierigen Marktumfeldes eine große Verunsicherung, nicht nur was die Thematik Rolex-Bucherer betrifft. Der Deal ist ein weiterer Faktor, der hinzugekommen ist. Er stärkt die Bedenken einiger Marktteilnehmer mit Blick auf die weiteren Dinge, die entschieden und kommen werden.
BPJ: Welche Bedenken sprechen Sie dabei konkret an?
ROTEN: Die Marken werden zunehmend selbstbewusster. Sie steigen selbst aktiv in das Retailgeschäft ein und sorgen für eine Art “Bereinigung” der Distribution. Dies hat direkte Auswirkungen auf die lokalen Händler. Und mit Blick auf den Rolex-Bucherer-Deal, war dies schon seit Jahren eine Thematik in der Industrie. Eigentlich kam diese Übernahme nicht so überraschend und bringt jetzt natürlich zusätzliche Bewegung in das Ganze.
BPJ: Glauben sie, wird es dann noch weitere Übernahmen geben wird oder wird jetzt einmal Ruhe einkehren?
ROTEN: Für mich ist der Rolex-Bucherer-Deal kein exemplarisches Beispiel dafür, dass weitere Übernahmen oder Zusammenschlüsse zwischen Handel und Industrie in der Zukunft stattfinden werden. Und Rolex und Bucherer werden sich sicherlich von ihrer Seite aus beruhigen lassen. Daher bin ich überzeugt, dass jetzt kein Schnellschuss passieren wird.
BPJ: In dieser volatilen Situation gehen die Exportzahlen der Schweizer Uhrenindustrie jährlich zurück. Die Umsätze daraus wachsen, da sich diese auf den Verkauf der Luxusuhren im Preissegment „CHF > 3.000“ stützen. Die Exporte im mittleren Preissegment gehen hingegen zurück. Ist die Decke erreicht?
ROTEN: Wir leben heute in einer Situation, in der die Planungssicherheit nicht mehr gegeben ist. Wir kennen das Auf und Ab schon zur Genüge. Nehmen Sie die heutige Situation, für viele sind die steigenden Energiepreise und die Inflation ein einschneidendes Problem, da denkt man nicht daran, eine Uhr zu kaufen. So ist es in der aktuellen Situation absolut naheliegend, dass sie ihre Kaufentscheidungen nach hinten schieben. Es gibt momentan wichtigere Themen als den Kauf einer mittelpreisigen Uhr mit dem neuen Zifferblatt.
BPJ: Wie ist die Reaktion darauf?
ROTEN: Wir haben gelernt, dass sich die Märkte adaptieren. Beispielsweise das E-Commerce-Thema. Mit der Pandemie kam es stark in Schwung. Davor wurde es fast stiefmütterlich behandelt. Aus meiner Sicht hängt in einschneidenden Situationen viel von der Qualität des Managements ab. Etwa wie man auf Veränderungen reagiert, sich anpasst, wichtige Parameter regelmäßig beobachtet, um gewisse Entwicklungen vorwegnehmen zu können.
„Eine Uhr, regelmäßig und richtig gepflegt, ist ein Produkt für die Ewigkeit.“
BPJ: Wir leben in einer Phase der starken Disruption. Die starken Brands setzen immer stärker auf Monobrandstores. Sie prägen die Innenstädte der Millionenmetropolen. Was bedeutet das für den Handel?
ROTEN: Die starken Marken werden die Thematik Boutiquen weiter ausrollen, da sie dort natürlich ihr Image viel besser kommunizieren können. Die Präsentation entspricht zu 100 Prozent ihren Vorstellungen. Das ist auch aus ihrer Perspektive vollkommen richtig. Im Retail-Bereich ist dies weniger umsetzbar, da der Retailer verständlicherweise primär sein Image präsentieren möchte. Zusätzlich lenken die Marken die Kundenströme, in dem sie bestimmte Uhrenmodelle exklusiv in ihren Boutiquen anbieten. Das setzt den gesamten Retail noch stärker unter Druck, da Umsätze wegbrechen.
BPJ: Es geht zum Teil ums Überleben. Gibt es Platz für neue, attraktive Geschäftsfelder für den unabhängigen Retail? Welche Strategien sehen Sie, um die Umsatzeinbrüche abzufangen?
ROTEN: Vielleicht muss man ein bisschen vom traditionellen Denken wegkommen und sich neuen Themen ein bisschen öffnen. Denn es ist ja häufig so, dass Veränderungen verstärkt stattfinden, wenn eine gewisse Drucksituation entsteht. Ganz neue Geschäftsmodelle sehe ich jedoch nicht. Bei vielen Themen sind wir jedoch in der Entwicklungsphase. Diese sind daher interessant. Etwa ist das Thema E-Commerce für die Uhrenindustrie noch ein relativ neues Thema. Da ist man immer noch dabei, es zu optimieren, es auszubauen und so weiter. Denn mit 20 bis 25 Prozent des Gesamtumsatzes im Verhältnis zum stationären Handel ist es immer noch ein kleiner Bereich. Jedoch wird er in Zukunft mit den jüngeren, digital affinen Generationen an Bedeutung gewinnen. Ein anderes überlegenswertes Beispiel ist Apple. Vor 10 bis 15 Jahren sprach niemand über Smartwatches. Heute ist Apple die größte Marke mit 41 Millionen verkaufter Stück im letzten Jahr und ist ein Schwergewicht am Uhrenmarkt. Des Weiteren ist zu überlegen, ob das Geschäftsfeld „Gebrauchtuhren“ und das Thema CPO eine Möglichkeit bieten.
BPJ: Gebrauchtuhren ist ein stetig wachsender Markt. Wo liegt hier das Potenzial?
ROTEN: Eine Uhr, die regelmäßig und richtig gepflegt wird, ist ein Produkt für die Ewigkeit. Gleichzeitig hat sich vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit die Einstellung zu Vintage geändert. Es ist schick und cool eine Vintage-Uhr zu tragen. Die Zeiten, wo man beim Tragen einer alten Uhr gefragt wurde: ‚Kannst Du dir keine neue Uhr leisten‘ sind definitiv vorbei. Das heißt, der Kunde ist bereit für das Thema. Es entspricht dem Zeitgeist. Jedoch haben die Marken selbst kaum die Kapazitäten, den Service und das Instandhalten der jährlichen tausenden verkauften Uhren bereit und den Kunden zufriedenzustellen. Kompetenz in diesem Bereich auf – und auszubauen ist eine weitere Möglichkeit, sich einen Namen zu machen und sich zu etablieren. Das Thema ist bereits in der Branche sehr präsent. Chronext ist diesbezüglich gerade mit einigen Juwelieren in konkreten Gesprächen, eine Kooperation für den Service und das Thema CPO (Certified Pre-Owned) aufzubauen.
BPJ: Wäre der Sekundärmarkt eine langfristig gute Ertragsquelle für den Fachhandel? Denn Umsätze und Margen aus einem möglicherweise wegfallenden Uhrenverkauf werden schwer kompensierbar sein.
ROTEN: Das CPO-Thema wird, so die Prognosen, in den nächsten sechs bis sieben Jahren größer werden, als der Markt für Neuuhren. Viele Juweliere sehen das Potenzial, stehen jedoch vor der großen Frage der Erschließung. Sie stehen vor den Fragen: Wo kaufe ich die Uhr? Wie weiß ich, die Uhr echt ist? Was ist ein gerechtfertigter Preis, den ich zahlen muss oder verlangen kann? Meine Antwort darauf ist relativ einfach: Ihr braucht euch nicht zu überlegen, wie ihr ihn erschließen könnt. Lasst uns kooperieren, weil all diese Fragen, die ihr habt, können wir beantworten.
„Das CPO-Thema wird, so die Prognosen, in den nächsten sechs bis sieben Jahren größer als der Markt für Neuuhren.“
BPJ: Wie sieht eines solche Kooperation aus Ihrer Sicht aus?
ROTEN: Ich sehe Chronext ein bisschen als Brückenbauer zwischen Handel und Industrie. Denn wir sind ja nicht eine Plattform wie Chrono24. Bei uns kauft jeder Kunde die Uhr tatsächlich von uns. Wir stellen ein Echtheitszertifikat aus und geben zwei Jahre Garantie auf das Produkt. Wir haben intern das Know-how bei Bedarf die Uhr zu reparieren, wir sind von einigen Marken zertifiziert, die Uhren reparieren. Zusätzlich sourcen wir jeden Tag 500.000 Preis aus dem Internet, um für die Modelle einen tagesaktuellen Preis zu haben. Unser Ziel ist es, einen Preisindex für Uhrenmodelle für unsere Partner und Kunden zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen. Das sind alles Dienstleistungen, die wir bereitstellen können und ich glaube, da gibt es eine Win-Win-Situation.
BPJ: Würde Chronext als Marke im Juweliergeschäft geführt?
ROTEN: Unsere Idee ist es On- und Offline (Retail) miteinander zu verbinden, da heutzutage jeder Kunde seine Kaufentscheidungen sowohl Online als auch Offline trifft. Wir wollen Chronext als CPO-Marke den Juwelieren anbieten. Der POS konzentriert sich dabei auf den Uhrenverkauf und Chronext kümmert sich um den Service im Hintergrund.
BPJ: Die Preise von Gebrauchtuhren sind in den vergangenen Jahren gingen durch die Decke. Seit März 2023 fallen sie stark. Was waren die Ursachen für diese extreme Entwicklung?
ROTEN: Die gesamte Kryptoblase und Tech-Thematik hat sich entspannt. Es waren sehr viele spekulative Gelder im Umlauf. Viele die dabei waren, waren keine Uhrenliebhaber. Für sie waren Uhren ein rein spekulatives Objekt. Da die Preise jetzt wieder auf vernünftige Levels zurückkommen und sich kurzfristig diese Traumgelder nicht mehr realisieren lassen, sind natürlich all diese Spekulanten auch aus dem Markt ausgetreten.
Jetzt ist der Markt wieder vernünftiger unterwegs. Die Preise werden jetzt noch weitersinken. Aber das ist ja das Spiel von Angebot und Nachfrage. Irgendwann werden sie ein Niveau erreicht haben, sodass sie wieder anziehen. Aber ich glaube, dass sie nicht mehr in dieses Höhen gehen. Es wird garantiert vernünftiger gestalten.
BPJ: Sie haben zuvor ihre intensiven Gespräche mit dem Handel erwähnt. In der aktuellen schwierigen Situation, was würden sie aus ihrer Retail-Erfahrung heraus strategisch empfehlen?
ROTEN: Es ist immer ein heikles Thema, Tipps zu geben, ohne schnell als Besserwisser dazustehen. Ich glaube jedoch, dass der lokale Kunde wieder mehr im Fokus stehen wird. Zu den Boomzeiten vor der Corona Pandemie wurden Uhren eher überreicht als verkauft. Dadurch hat die Qualität im Verkauf gelitten.
BPJ: Was meinen Sie mit „Überreichen“?
Zum Verkaufen gehört ja immer auch Überzeugen. Bei gewissen Referenzen war die Nachfrage höher als das Angebot: Der Kunde kam herein, gab die Referenz ab, der Verkäufer hat sich diese notiert und die Uhr bestellt. Danach kam der Kunde zum Kauf und ist wieder gegangen. So musste keine große Überzeugungskraft geleistet werden.
Menschen gehen halt gerne den Weg des geringsten Widerstands. Als lokaler Kunde, der im Laden kauft, sehe ich das anders: Es ist nicht nur der Akt des Kaufens, wenn ich in einen Laden gehe. Es geht um eine soziale Interaktion. Es geht darum beraten zu werden, eine zweite Meinung oder einen Einwand zu hören, also pro und contra. Und es geht darum eine Alternative zu meiner ursprünglichen Idee präsentiert zu bekommen. Es geht darum ein Erlebnis zu schaffen. Es geht um die Dienstleistung. Wir müssen wieder sehen, dass Verkaufen ein Metier ist, das Kompetenz, Qualität und persönliches Engagement braucht, denn wenn ich dieses Engagement nicht vermittelt bekomme, dann kann man genauso gut auch online kaufen.
„Ich glaube, dass wir die Chancen auf uns anpassen sollten und beginnen müssen, die Möglichkeiten umzusetzen.“
BPJ: Wie erreicht man, mit Blick aus Ihrer langjährigen Marketingerfahrung dieses Erlebnis schaffen?
ROTEN: Am Ursprung für ein positives Kauferlebnis steht immer die Motivation und das Engagement jedes einzelnen Mitarbeiters. Aber natürlich auch starke Kooperationen mit Marken aus der gleichen oder einer benachbarten Branche.
BPJ: Beispielsweise?
ROTEN: Wir bei Chronext möchten Partnerschaften etablieren, wo die gleichen Interessen und Kunden bedient werden, ohne dass sich die Produkte gegenseitig kannibalisieren, sondern vielmehr Synergien geschaffen werden, wie etwa im Marketing oder bei Events. Idealerweise sind es Partnerschaften mit bekannten Produkten, um einen positiven Imagetransfer stattfinden zu lassen. Wenn man gemeinsame Kräfte bündelt, kann man gemeinsam auch mehr erreichen.
BPJ: Der Juwelier muss sich also selbst als Marke sehen und definieren. Was bedeutet das für das Uhrengeschäft. Manche sehen die Strategie mit einer noch unbekannteren Marke gemeinsam zu wachsen als erfolgsversprechend.
ROTEN: Die Juweliere haben bisher von den starken Marken profitiert. Und es war bis dato von Seiten des Retails nicht erforderlich, Marken und deren Produkte groß zu machen. Die Juweliere waren darauf fokussiert, die Uhren auszustellen und sie zu verkaufen, darum sind natürlich kleinere Marken auf ein nicht allzu großes Interesse gestoßen. Wir kooperieren bereits mit diesen Microbrands, die bisher nicht die erhoffte Beachtung im Handel bekommen haben. Wir unterstützen sie mit unserem Potenzial von monatlich einer Million Besuchern auf unserer Seite,wodurch wir die Microbrands einem breiteren Publikum bekannt machen können.
BPJ: Wie sehen sie jetzt die Zukunft? Wie geht das mit dem Markt weiter?
ROTEN: Allgemein gesprochen gibt es in jeder Industrie Ups and Downs, Veränderungen und neue Ströme, so auch in der Uhrenindustrie. Wenn man zurück an die 70er und 80er denkt, als die Schweizer Uhrenindustrie große Zukunftsängste hatte und mit der Einführung der Swatch gerettet wurde. Man ist gestärkter aus der Krise gekommen und hat sich weiterentwickelt. Ich glaube daher, es ist wie immer im Leben. Jene die qualitativ gut und kundenfokussiert arbeiten, für die gibt es immer einen Markt. Heute steht eine weitere große Veränderung mit dem Thema Digitalisierung an. Dies sollte primär als Chance und Möglichkeit gesehen werden, einen noch größeren Kundenkreis zu erschließen. Viele kapitulieren ein bisschen davor. Es bietet jedoch neue Chancen und Möglichkeiten, schneller beim Kunden zu sein, sich mit neuen Kanälen zu präsentieren und neue Kunden anzusprechen. Die Welt ist zu einem Dorf geworden. Mein Kunde muss heute nicht mehr nur in Wien oder in Berlin sitzen. Er kann irgendwo auf mich aufmerksam werden und eine Uhr von mir kaufen. Das heißt also, ich habe heute ein viel größeres Marktumfeld mit Möglichkeiten über den Tellerrand hinauszugehen. Daher glaube ich, dass wir die Chancen auf uns anpassen sollten und beginnen müssen, die Möglichkeiten umzusetzen.
BPJ: Wie viele Marken werden 2030 noch am Markt sein?
ROTEN: Es wird gewisse Veränderungen geben, jedoch kein großes Markensterben. Neue werden hinzukommen, die den Markt- und Kundenbedürfnissen besser entsprechen. Erst vor einigen Jahren ist z.B die Sparte der Smartwatches entstanden und nun ist Apple die größte Uhrenmarke. Das hätte niemand für möglich gehalten, insbesondere nicht die traditionelle Uhrenwelt. Die Dinge entwickeln sich heute viel schneller, dies könnte den ein oder anderen neuen Anbieter auf die Bühne bringen. Und zu guter Letzt wird sich die Welt genauso weiterdrehen, wenn eine Marke nicht mehr da ist und eine andere ihren Platz einnimmt.
BPJ: Danke für das Gespräch!
Keine Kommentare