Experte sein bedeutet das passende Lager zu haben. Für mehr Beratungsfreiheit, um den Kundenwunsch umzulenken und zu viel Auswahl zu vermeiden.
(Teil 2) Oft sind es zwei gänzlich unterschiedliche Positionen. Der Lieferant beklagt sich, dass der Juwelier nicht nachzieht, ein zu kleines Lager und vor allem die Bestseller nicht parat hat. Der Juwelier will selbst haushalten, den Druck des Lieferanten nicht spüren und ist der Meinung, seine Kunden gut zu kennen und das passende Lager vorzuhalten. Was stimmt nun?
Ganz klar: Juweliere, die bestellen müssen, weil sie die Waren nicht auf Lager haben, werden nicht als Experte wahrgenommen! Beim Konsumenten entsteht eine Enttäuschung. Der Juwelier tue so, als ob er sich auskennen würde, muss aber die Ware bestellen wie ich auch, wenn ich bei Amazon bestelle. Und schon beginnt beim Konsumenten das Kopf-Kino, das ihn meilenweit von dem Zustand entfernt, den sich der Juwelier wünscht, nämlich eine feste und ernsthafte Beziehung zu seinem Kunden zu haben.
Ausweg: Kundenwunsch umlenken
Genauso gut kann es aber sein, dass der Kunde dies nicht akzeptiert. Jeder Juwelier als selbständiger Unternehmer und in Verantwortung zu seinem Geschäft und seinen Mitarbeitern muss für sich entscheiden, ob er Ware verkauft, die nicht auf Lager ist. Der Platzhirsch in einer mittelgroßen Stadt wird sich dies vielleicht eher erlauben können, als der Innenstadt-Juwelier mit starkem Mitbewerb. Die bessere Lösung dagegen ist das geschickte Umlenken des Kundenwunsches.
Warum ein „silberner“ Ring aus Platin sein kann
„Ich hätte gern einen silbernen Ring.“ Diese Frage eröffnet weite Horizonte. Ein schlechter Verkäufer in einem hochwertigen Juweliergeschäft wird den Kunden mit den Worten „Wir führen kein Silber“ hinausschicken. Ein guter Verkäufer fragt. Er wird diese Anfrage als Steilvorlage nutzen können. Und nicht selten ist „Silber“ nur die Farbe, kann also durchaus Weißgold oder sogar das „noch silbernere“ Platin sein. Die Freiheiten des Verkäufers sind beim Schmuck sehr hoch. Auch dies ist ein fundamentaler Unterschied zwischen Uhren und Schmuck. Durch die jahrzehntelange, für die Hersteller positiv verlaufene Marketingarbeit sucht der Uhrenkäufer in erster Linie Marke. Doch auch dies hängt stark vom Profil des Geschäftes und seiner Kunden ab. (Dazu hatte „Blickpunkt Juwelier“ interessante Händlerstimmen einfangen können. Auf die Frage, wie groß die Chance ist, den Kunden mit konkretem Produktwunsch nach einer Uhr in eine andere Richtung zu lenken, gab es zwei gänzlich unterschiedliche Antworten. 80 %, sagte Platzhirsch Thüm aus Kehl zwischen Offenburg und Straßburg. 20 %, sagte Rolex-Konzessionär von Hofen aus Stuttgart-City.)
Mehr Freiheiten bei Schmuck als bei Uhren
Die Freiheiten der Schmuckberatung sind ungleich höher als bei Uhren. Letztlich sucht der Konsument das für ihn beste Produkt. Und wie so oft, fällt der „Groschen“ oft, wenn man das Produkt in Händen hält. Die Aufgabe des Experten-Juweliers ist es, diese perfekten Produkte zu suchen – was selbstredend nur geht, wenn sie auch vorrätig sind.
Zu viel kann schlecht sein
Das Lager eines Händlers kann zu groß sein. Beispiel Trauringe. Wenn der Kunde am Tisch abgestellt wird mit Dummy-Boxen voller Trauringe, dann sieht er zu viele Produkte. Die Wissenschaft spricht hier von „Paradox of Choice“. Die Kurzform dieser Erkenntnis lautet: „Zu viele Entscheidungsalternativen verhindern die Entscheidungsfindung.“ Im Volksmund gibt es Sprichwörter dazu, wie „den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“ oder „wer die Wahl hat, hat die Qual“. Die Feldstudie aus dem Jahr 2000 funktionierte folgendermaßen. Auf einem Probiertisch im Supermarkt wurden das eine mal 24, das andere mal sechs Marmeladensorten zum Probieren ausgestellt. Bei 24 Sorten probierten 60 % der Kunden, aber nur 3 % kauften auch ein Glas Marmelade. Bei sechs Sorten probierten zwar nur 40 %, es kauften aber 30 %.
Viel Auswahl = Angst vor Fehlentscheidungen
Die wissenschaftliche Deutung ist interessant. Eine zu große Auswahl führt dazu, dass anstelle einer falschen lieber gar keine Entscheidung getroffen wird. Die Unterschiede zwischen den vielen Angeboten sind nicht mehr erkennbar. Letztlich entsteht im Kopf des Konsumenten Angst, eine Fehlentscheidung zu treffen. Und Angst war noch nie ein guter Berater.